Was ist der Europäische Haftbefehl?
Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt. Das durch den Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 (2002/584/JI) installierte Verfahren beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung justizieller Entscheidungen. Demnach muss eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten als solche mit den entsprechenden Rechtswirkungen anerkannt werden.
Wo ist der Europäische Haftbefehl geregelt?
Das Instrumentarium des Europäischen Haftbefehls kommt gegen bulgarische Staatsbürger typischerweise zur Anwendung, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat verdächtig werden, eine Straftat begangen zu haben. Geht in Bulgarien ein Europäischer Haftbefehl aus Deutschland, Österreich, Liechtenstein oder aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein, bestimmt sich das Übergabeverfahren nach dem bulgarischen Gesetz über die Auslieferung und den Europäischen Haftbefehl (veröffentlich in Staatsanzeiger Nr. 46 v. 03.06.2005). Die Regelungen über das Verfahren beim eingehenden Europäischen Haftbefehl sind in dem fünften Teil des vorgenannten Gesetzes (Art. 35 bis Art. 66 AEuHBG) enthalten.
Wie wird verfahren, wenn in Bulgarien ein Europäischer Haftbefehl eintrifft?
Das Übergabeverfahren auf Grund eines Europäischen Haftbefehls findet in I. Instanz vor einer der 28 Bezirksgerichte statt. Bei allen eingehenden Übergabeersuchen wird seitens des Gerichts innerhalb von sieben Tagen nach Festnahme der Person eine Verhandlung anberaumt, im Rahmen deren die betroffene Person darüber zu belehren ist, dass sie der Übergabe an den ersuchenden Staat zustimmen und auf die Anwendung des Spezialitätsgrundsatzes verzichten kann. Erklärt sich die gesuchte Person mit der Übergabe an den ausstellenden Staat einverstanden, wendet das Gericht ein beschränktes Prüfungsprogramm an. In diesen Fällen spielt zum Beispiel die Tatsache, dass in Bulgarien wegen derselben Tat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, ein Strafverfahren eingeleitet wurde, keine Rolle. Stimmt die gesuchte Person der Übergabe an den ersuchenden Staat nicht zu, muss das zuständige Gericht überprüfen, ob der Europäische Haftbefehl die gesetzlich normierten Erfordernisse (Angaben zur gesuchten Person, Koordinaten der ausstellenden Behörde, Zeit und Ort der Tat etc.) erfüllt. Ferner soll geprüft werden, ob bestimmte Gründe vorliegen, welche die Überstellung der gesuchten Person hindern. Folgende Ablehnungsgründe haben besondere praktische Relevanz:
- rechtskräftige Verurteilung wegen derselben Tat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt (ne bis in idem),
- das Strafverfahren in Bulgarien wegen derselben Tat wurde eingestellt,
- bezüglich der Strafverfolgung ist Verjährung eingetreten.
Es ist zu beachten, dass die Schuldfrage, also die Frage, ob die gesuchte Person die ihr zur Last gelegten Tat begangen hat oder nicht, nicht von dem vollstreckenden Gericht zu prüfen ist. Die Entscheidung in der Sache selbst ist dem zuständigen Gericht in dem Ausstellungsstaat vorbehalten. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Vollstreckungsstaates oder in diesem wohnhaft, kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Strafe, die im Ausstellungsstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstreckungsstaat rücküberstellt wird. Mit anderen Worten kann bereits während des Übergabeverfahrens dafür gesorgt werden, dass der Betroffene im Falle seiner Verurteilung die verhängte Strafe in Bulgarien absitzen kann.
Welche Rechte hat die gesuchte Person?
- Der Betroffene hat ein Recht darauf, dass ihm der Inhalt des Europäischen Haftbefehls eröffnet wird.
- Recht auf Zuziehung eines Verteidigers und gegebenenfalls eines Dolmetschers.
- Der Betroffene hat das Recht, vor dem entscheidenden Gericht angehört zu werden.
- Ist der Betroffene mit der erstinstanzlichen Entscheidung nicht einverstanden, steht ihm die Möglichkeit der Beschwerde zu.
Worauf muss der Betroffene achten?
Während des Übergabeverfahrens werden oft die Weichen für den Ausgang des Strafverfahrens in dem Staat gestellt, der den Europäischen Haftbefehl erlassen hat. In der Regel sind in dem Europäischen Haftbefehl nicht alle Informationen über die vorgeworfene Tat, die Beweise und die Erkenntnisse der Strafverfolgungsbehörden enthalten. Bei der Entscheidung, ob vor dem jeweils zuständigen bulgarischen Gericht Angaben zur Sache gemacht werden, muss der Informationsdefizit gebührend bedacht werden. Wenn die gesuchte Person entlastende Tatsachen vorbringen bzw. von seiner Schuld überzeugen möchte, empfiehlt es sich, mithilfe eines Rechtsanwalts, der in dem Ausstellungsstaat zugelassen ist, die Möglichkeiten der Einstellung des Verfahrens bzw. Rücknahme des Europäischen Haftbefehls zu überprüfen.
Die Verfasserin dieses Beitrages, Frau Rechtsanwältin Maria Miluscheva, ist Fachanwältin für Strafrecht mit Kanzlei in München. Sie hat in den letzten Jahren zahlreiche bulgarische Staatsbürger vor den Strafverfolgungsbehörden in Deutschland vertreten. Sie steht Ihnen bei Fragen rund um das Strafverfahren in Deutschland gerne zur Verfügung.